Der Zeitkern des historischen Materialismus (Frankfurt a. M.)

Workshop mit Jan Rickermann, Anna-Sophie Schönfelder und Matthias Spekker

Die Marx’sche Kritik der politischen Ökonomie gilt als umfassende Analyse der Bewegungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Gilt sie den einen damit als die wissenschaftliche Bestimmung des weiteren Geschichtsverlaufs hin zum Sozialismus, macht den anderen zufolge gerade die systematische Trennung der theoretischen Argumentation des Kapital von jeglichem revolutionstheoretischen Ballast den wissenschaftlichen Kern von Marx’ Hauptwerk aus. Aus völlig konträren Gründen bleibt so beiden Sichtweisen die Marx’ sche Kritik vom weiteren Verlauf der Geschichte unberührt und damit sakrosankt. Das Scheitern aller historischen Versuche einer vernünftigen Aufhebung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse (bis hin zu ihrem Umschlag in menschenverachtende Diktaturen), die Kulmination der ökonomischen und politischen Entwicklung spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht hin zur Befreiung, sondern zur totalen Barbarei durch Faschismus und das nationalsozialistische Projekt der Massenvernichtung, die nahezu völlige Abschließung der spätkapitalistischen Verhältnisse gegen die Möglichkeit ihrer Transzendierung: Dass von all dem die Wahrheit der Marx’schen Kritik tangiert sein könnte, wird nicht nur bezweifelt, sondern komplett verdrängt. Dabei wird jedoch nur allzu gerne übersehen, dass die Marx’sche Kritik der bürgerlichen Gesellschaft selbst aufs Engste mit der (Denk-)Möglichkeit ihrer Revolutionierung einherging. Es sind keineswegs nur die oft als bloß irritierendes ideologisches Beiwerk verworfenen Passagen etwa aus den Vor- und Nachwörtern oder dem 24. Kapitel des Kapital, die davon zeugen, wie bei Marx materialistische Kritik und der reale Verlauf der Geschichte miteinander unauflösbar verwoben sind, ja wie von letzterem die objektive Möglichkeit einer solchen Kritik abhängt.

Entsprechend gilt es in diesem Workshop herauszuarbeiten, wie es um den Zeitkern der Wahrheit des historischen Materialismus und dessen Krise angesichts von Verhältnissen steht, die ihm objektiv nicht mehr entgegenkommen. Wie drückt sich der historische Materialismus in der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie aus, warum fällt ihr epistemischer Zusammenhang mit der revolutionären Perspektive Marxens bei dessen Nachfolgern notwendig auseinander, und was bedeutet das für die Möglichkeit materialistischer Kritik?

Jan Rickermann forscht zur Kritischen Theorie und Kritik des Politischen Existentialismus. Er hat Sozialwissenschaften und Philosophie studiert, lebt in Bremen und arbeitet an einer Dissertation über den Politischen Existentialismus bei Giorgio Agamben.

Anna-Sophie Schönfelder ist Politikwissenschaftlerin. Forschungen zu Hannah Arendt, zu Karl Marxʼ journalistischen Schriften, zur Geschichte des bürgerlichen und autoritären Staates sowie zur Kritik der politischen Ökonomie. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Justus-Liebig-Universität Gießen im DFG-Forschungsprojekt „Zwischen Minderheitenschutz und Versicherheitlichung: Die Herausbildung der Roma-Minderheit in der modernen europäischen Geschichte“. Von 2014 bis 2019 arbeitete sie an der Universität Osnabrück auf dem Gebiet der Marxforschung.

Matthias Spekker, Fachgebiet Politische Theorie und Ideengeschichte, forscht insbesondere zum Werk von Karl Marx und zur Kritischen Theorie. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt „Marx und die ‚Kritik im Handgemenge‘ – Zu einer Genealogie moderner Gesellschaftskritik“ (Universität Osnabrück), lebt in Hamburg und arbeitet als Jugendbildungsreferent.

Veranstaltungen
Institut für Sozialforschung (IfS), 26, Senckenberganlage, Westend Süd, Innenstadt 2, Frankfurt am Main, Hessen, 60325, Deutschland Map